„Ich hatte eine Farm in Afrika ...“ schrieb Karen Blixen einst in ihrem Roman über ihr Leben. Die Frage die ich mir stelle, ist es gleichfalls zündend wenn ich mein Buch mit „ich habe eine Bruchbude in Serbien“ beginne? Wahrscheinlich nicht. Also starte ich mit einer Erklärung zu meinem physischen Zustand.
Mein Blutdruck war jenseits der 200, wodurch ich zitterte, Schweißperlen auf der Stirn hatte und gleichzeitig mein Gesicht rot angelaufen war. Umrahmt wurde dieser Anblick von fettig wirkenden Haaren, die durch die unerträgliche Schwüle im Nacken und and den Wangen angeklebt, die Wimperntusche (vulgo Mascara) war sicher nicht mehr das was sie noch vor Kurzem war und das entfettende Gesichtspuder hatte sich schon beim beginnenden Sommerregen verabschiedet. Das wunderschöne Marine-Stil-Kleid ist in meiner XL-Größe schon vorn Vornherein nicht so kleidsam wie bei einer normalgewichtigen Frau, bedingt aber durch den bereits erwähnten Sommerregen und die darauffolgende schwüle Hitzewelle haben es zu einer blau-weiß gestreiften überdimensionalen Wurstpelle werden lassen, die nichts, ausnahmslos nichts, mehr vorteilhaft aussehen ließ. Und die Gedanken über mein momentanes Aussehen, dem Gehalt von Angst und viel zu hoher Luftfeuchtigkeit in meinem Schweißgeruch sowie die nicht zu verbergende Nervosität ließen meinen Blutdruck weiterhin ansteigen, ein Schlaganfall war wirklich nicht mehr auszuschließen. In meinem Kopf schlug sowas wie die Pummerin, von der linken zur rechten Schläfe und wieder zurück, um mich zu ermahnen, dass es sich nur noch um wenige Minuten handeln kann, bis er kommt.
Wahrscheinlich war aber dieser Glockenschlag nur das erste ernstzunehmende Anzeichen des Schlaganfalls. Nichts desto trotz lief die Zeit und dann ging alles ganz schnell.
Ein roter Bus kam in die Einfahrt, ich hörte meinen Bruder „na endlich“ sagen, ich spürte dass mein Blutdruck bereits die 250er-Grenze überschritten haben muss, ich wollte weglaufen, aber die Schwerkraft, mein Gewicht und die bereits einsetzende Leichenstarre verhinderten dies. Wie in Zeitlupe kam der Bus auf uns zu, glitt förmlich in seine Parkposition und das wars. Es gab kein Zurück mehr. Ich stand da, zitternd wie ein dreijähriges Mädchen das ihre Eltern auf einem Parkplatz vergessen hatten - und bis heute dankbar, dass wenigstens meine Blase an dieser Stelle nicht versagt hat. Irgendwelche Gestalten stiegen aus, fielen ihren Familienangehörigen in die Arme, küssten, lachten, johlten.
Erst lange Zeit später habe ich mich daran erinnert, dass mehr oder weniger jeder Fahrgast ausstieg und sich zuerst einmal eine Zigarette anzündete, bevor die Familie geherzt wurde. Hat jetzt im Nachhinein keine Bedeutung, außer dass die These über die Erinnerung des Unterbewusstseins wieder einmal bestätigt wird. Mein knapp 300er-Blutdruck führte jetzt Regie und ließ in perfekter David Hamilton Manier - Sie erinnern sich bitte an „Zärtliche Cousinen“ - eine Art Weichzeichner vor meine Augen kleben. Ich war wie in Trance, alles ging langsam, alles war wunderschön und irgendwo im Hintergrund pfiffen die Vögel ein Liebeslied.
Die Wahrheit ist, dass der enorme Geräuschpegel des Verkehrs meine Ohren lähmte, mein Blick durch den enormen Blutdruck bereits verschleiert war und dass mich die Hitze so sehr lähmte, dass nur ich so langsam war und nicht die Welt um mich. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mein ganzes Leben nur die Zusammensetzung von diversen Filmszenen ist. Jenseits von Afrika hatten wir zu Beginn (und es wird noch mehr Rolle spielen), die vorher erwähnten Cousinen begründen eher die optische Umsetzung und jetzt springen wir direkt zu Aschenputtel, die alles überstrahlte als sie um Mitternacht die Treppe vom Ballsaal hinunterlief und dabei ihren gläsernen Schuh verlor. Prinzengleich stieg er die wenigen Stufen aus dem Bus herab, zu seinem neuen Volk, zu mir, seiner vielleicht zukünftigen Prinzessin. Da frage ich mich, gibt es einen Film mit einer fetten Prinzessin? Dürfen Adelige überhaupt übergewichtig sein? Das muss ich später googeln ...
Fortsetzung folgt ....