Es brennt nicht nur das Stroh
Es ist kurz nach drei auf der Uhr, Samstagmorgen, und knapp unter drei Promille auf meiner Alkoholskala. Vorgestern war mein Geburtstag, gestern Abend wurde ausgiebig gefeiert. Es ist ganz tiefer Winter, kurz nach Weihnachten und Silvester, schließlich und endlich hatten alle noch einen Rest-Alkohol-Feiertagspiegel. Das Licht am Gang zu meiner Wohnung geht nicht, Gott allein weiß wie ich das Schloß gefunden habe. In meiner Wohnung geht ebenfalls im Vorzimmer kein Licht. Kurz denke ich an einen Scherz meiner Nachbarn, aber dann denke ich, dass ich einfach zu betrunken bin um den Lichtschalter zu finden bzw. habe ich keine Ahnung wo die Sicherungen sind. Ich will nur ins Bett. Es heißt aufpassen wenn ich das Wohnzimmer betrete, dass ich nicht auf meine Luise trete, ein schwarzer Hase in einem schwarzen Zimmer kann in Lebensgefahr schweben. Hihihi. Ich öffne vorsichtig die Wohnzimmertür, versuche auch hier Licht zu machen, verdammt, nichts geht mehr. Dann rieche ich verbranntes Fleisch. Dann bemerke ich die Kälte im Raum. Dann rieche ich noch immer verbranntes Fleisch und sofort ist der Alkoholgehalt in meinem Blut drastisch gesunken. Panik bricht langsam aber sicher aus. Ich suche nach einer Taschenlampe, ich breche beinahe meine kleine Zehe auf dem Weg dorthin, dieser Geruch macht mich verrückt. Mit der Taschenlampe schreite ich zitternd zurück und sage mit ängstlicher Stimme "Luise" "Hallo" „Ist da jemand“- als ob wer antworten würde. Dann höre ich eine Art kratzen aus der Ecke kommen. Tränen sind irgendwie schon in meinen Augen, was ist da los? Dann sehe ich mein Häschen in der Ecke kauernd, ich packe sie und hebe sie an meine Brust. Jetzt ist der Geruch unerträglich. Ich leuchte auf sie mit meiner kleinen Taschenlampe und - mein Gott, ihr halbes Gesicht ist verbrannt, ihre kleinen Äuglein
geschwollen und ihr hübsches Gesicht wirkt wie nackt ohne schwarzes Fell. Sie zittert vor Angst. Ich halte sie einfach nur fest und weine. Was soll ich jetzt tun? Mitten in der Nacht. Kein Licht, keine Heizung und kein Geräusch. Es ist wie der Tag nach dem Supergau. Man ist so abhängig von Elektrizität, das ist mir jetzt klar. Ich kann mir weder einen wärmenden Tee machen noch sonst was. Mein Handy hat schon lange keinen Akku mehr, also an Musikhören ist nicht zu denken. Ich besitze keinen Laptop, also ist jede Art der Geräusch-mach-Möglichkeiten genommen. Und ich habe einen todkranken halbverbrannten Hasen in der Hand. Das Leben ist scheiße. Ich gehe direkt ins Bett, neben mir die kleine Taschenlampe, auf mir ein ‚Angsthase‘, es ist wie im Showdown von "Der englische Patient". Sinnloses Warten auf Morgen. Irgendwann schlafen wir beide ein. Luise vor Schmerzen und ich vor Angst und Alkohol. Stunden später endlich Licht. Kurz nach sieben. Ich muss auf die Toilette und am Weg dorthin stellt sich mir ein Chaos dar. Überall im Wohnzimmer liegen
DVDs am Boden verstreut. Was ist da passiert? Eine Hasenparty? Wo sind die anderen Gäste. Am WC wird mir klar, was los war. Luise - damals noch so wie ich ein (un)glücklicher Single, hat in mühsamer Kleinarbeit unter der dem Einfluss von totaler Fadesse langsam aber sicher alle DVDs aus dem Fernsehkasten hervorgezogen um dann in unerforschtes Gebiet vorzudringen. Dahinter befindet sich nämlich die Verkabelung vom Player zum Fernseher zur Antenne und so weiter. Und dann muss sie auf ein Kabel gebissen haben, ein Schlag, ein Blitz und los geht die Misere. Dieser Blitz muss ihr Gesicht verbrannt haben und gleichzeitig muss nicht nur der Sicherheitsschalter in meiner Wohnung gefallen sein, sondern gleich die Sicherung des Hauses angeschlagen haben und unser gesamter Wohnblock ist im Dunkeln gewesen. Klappern am Gang. Ich sehe durch das Guckloch. Mein Nachbar repariert die Sicherung im Gang - Licht ist wieder an im Haus. Ich werde niemanden erzählen, dass ich den Grund dafür kenne. Sonst steinigen sie mich - oder Luise. Nach der Morgentoilette schalte ich meinen FI wieder an und auch bei mir wird es wieder Licht. Dann sitze ich in der Kälte rauchend am Küchentisch und warte bis eine Minute vor acht. Dann rufe ich den Tierarzt Notruf an - der Doktor beruhigt mich mit seiner sanften Stimme bereits am Telefon. Ich soll doch in die Ordination kommen, er sperrt mir auf. Alles wird gut sagt er. ich glaube ihm ein wenig. Und schnappe mein Luischen und rase zu ihm. Sie hatte großes Glück. Es wird wirklich alles wieder gut. Das Fell wächst nach, das Auge ist nur entzündet und der Schock wird auch wieder vergehen. Sie wird sich aber trotzdem nicht merken, was ihre offensichtliche Plastik-Sucht ausgelöst hat. Sie wird es wieder tun. Also gibt es ab sofort neue Regeln. In der Zeit, in der ich nicht da bin oder schlafe, darf Luise "nur" in der Küche sein, da sind alle Kabel in der Wand verlegt. Sie kann nur die Wand anknabbern, auf die Fliesen pissen oder das Geschirrtuch zerfetzen. Alles kein tödliches Problem.
Und immer noch besser, als wie bei anderen Kaninchen-Haltern. Dort sitzen oft zwei Hasen in einem kleinen Käfig, den ganzen Tag lang. bis vielleicht nachmittags das dumme Kind einen der Hasen aus dem Käfig zerrt und ihn kurz wild streichelt oder bei den Ohren zieht oder sonst was. Und von den tollen Hasen Züchtern, die bis zu fünf Tiere in einem Käfig halten, als Gebärmaschinen verwenden um sie dann abzuschlachten, wollen wir gar nicht reden. Also ich glaube, ich kann Luise mit gutem Gewissen in ihrer sieben Quadratmater Küche mit Ausblick in den Garten lassen. Der Doktor für das liebe Vieh sieht das auch so. Und Ärzte irren nie ;-)
Bald Mitternacht und somit wirklich Zeit zu Bett zu gehen. „Jakoooooob“ „Luiiiiiiise“! rufe ich mit Engelsgleicher Stimme. Nichts passiert. Wo sind die beiden wieder? Luise sitzt beim Sofa und wirft mir ihren „Ich habe noch sooooooo großen Hunger – kann ich bitte noch zwanzig Karotten haben“-Blick zu. Luise wiegt 3 Kilo und Jakob ein wenig mehr Also keine Spur von Magersucht – auch nicht im Bereich der Hasen-Waage. Mein Tierarzt sagt immer, beide sind im etwas leicht-in-Richtung-beinahe-Übergewicht- Bereich, aber das heißt ja gar nichts. Ich lächle meine Zuckerpuppe an und sie weiß, wenn sie jetzt brav zur Nachtruhe in Richtung Küche hoppelt, dann fallen sicher ein oder zwei Fruchtdrops (speziell aus dem Chemielabor für Hasen) zu Boden, die sie dann unbemerkt innerhalb weniger Sekunden aufsaugen kann. Wenn jetzt der smarte Junge noch kommen würde, dann steht meinem wohlverdienten Schlaf nichts mehr im Wege. Ich mache nämlich hinter den beiden eine Art Gatter, von mir selbst handgefertigt, zu, damit sie über Nacht in der sicheren Küche sein können. Da haben sie noch immer Auslauf, Ausblick in die Natur und alles was für ein zufriedenes Hasenleben notwendig ist. Ich kann aber ruhig schlafen, weil dort können sie nichts anknabbern, nichts kann ihnen gefährlich werden und solange ich ihnen nicht beibringe, wie der Gasherd angeht, kann wirklich nichts passieren. Ich rufe, ich suche überall nach Jakob. Zuerst oberirdisch, dann sozusagen unterirdisch.
Unter dem Sofa, unter dem Kasten, unter dem Bett. Kein Jakob weit und breit. Meine
gesamte Wohnung hat 50 Quadratmeter, man sollte nicht glauben welch unendliche
Weiten sich in so einem Fall auftun. Minuten vergehen, Luise hat sich in der Zwischenzeit hinter mir aufgebaut und hilft mir suchen. Natürlich verfolgt sie eine klare Absicht damit: wenn sie dann gemeinsam mit Jakob nochmals in die Küche hüpft, hat sie – so wie ihr Ehemann – eine weitere fruchtige Versuchung verdient. Das ist ihr Plan, meiner ist einfach, dass ich müde bin und ins Bett will. Ich beginne meine Runde wieder von vorn und das Ergebnis ist beinahe Resignation. Ich lasse mich verzweifelt aufs Bett fallen – das wird wohl heute nichts mehr mit Schlafen. Kann er raus gelaufen sein? Soll ich jetzt in der stockdunklen Nacht mit einer ganz kleinen Taschenlampe draußen nach ihm suchen? Die Chancen ihn zu finden liegen bei etwas 0,01 Prozent. Oder soll ich am Morgen nach ihm suchen? Und einfach den Blutspuren folgen, die der Fuchs vom Klostergarten vis a vis sicher hinter lassen hat, folgen? Dieser Gedanke lässt mich sicher ruhig schlafen :-( Ich liege noch immer am Bett und starre knapp weinend an die Decke. Und jetzt beginnt eine offensichtliche Halluzination: in meinem linken Augenwinkel sehe ich, dass sich der bodenlange Vorhang meiner Balkontüre (ein „Französischer Balkon“ – also sprich keiner, aber eine Türe wie wenn einer dahinter wäre) sich bewegt. Das ist schier unmöglich. Wie schrecklich, Jakob ist nur kurze Zeit abgängig und schon fantasiere ich. Wenn ich ihn nicht finde, dann liefern sie mich sicher in die Klappsmühle ein. Also ist ein Suchen in finsterer Nacht unumgänglich. Und wie ich meinen übermüdeten Körper und mein mir Streiche spielendes Hirn langsam vom Bett hoch hieve, sehe ich den Shooting Star der städtischen Hasenbühne: We proudly present: Mr. Jakob Houdini!!!! Jakob hat sich hinter dem Vorhang versteckt, obwohl er gar nicht bis zehn gezählt hat. Oder vielleicht habe ich sein Zählen einfach nicht gehört…. Der schwere Vorhang bleibt an seiner Stirn hängen und irgendwie sieht er aus wie eine Mischung aus der Mutter Gottes und einem Beduinen, der seinen Kopfschmuck gelüftet hat. Ich muss so lachen, der Anblick ist nur allzu komisch. Und schon habe ich vergessen, dass mich sein Schauspiel eigentlich einen kleinen Schlaganfall gekostet hat. Vergessen, das war die Show wert. Sein Blick mir gegenüber ist unglaubwürdig. Er hat eindeutig Applaus in Form von Essbarem erwartet und kein Gelächter. „Jakob, die Vorstellung war großartig“ sage ich ihm. „Es ist kein auslachen – es ist das Lachen des dankbaren Publikums, dass großartig von deiner One-Rabbit-Show unterhalten wurde“. Er zieht seine Mundwinkel nach oben, verneigt sich und hoppelt Richtung seiner „Garderobe“. Er dreht sich noch einmal um zum Publikum – er weiß, dass seine Gage in Fruchtdrops ausbezahlt werden wird. Und die Moral von der Geschichte: Platz für Kreativität ist in der kleinsten Hütte …
Regen, Regen und nochmals Regen. Die Welt ist grau in grau. Ich habe zwei Videos
gesehen heute, meine Augen sind schon müde. Aber ich kann mich nicht hinlegen und ein Schläfchen machen, sonst bin ich die halbe Nacht wieder munter. Wenn man älter wird, wird man automatisch komischer. Ich bin aber erst 35 und werde auch schon komisch. Früher habe ich Sonntag bis Mittags geschlafen, mindestens, dann
gefrühstückt und ein Nachmittagsschläfchen gemacht. Dann sozusagen diniert und mich danach ein wenig ausgeruht. Um anschließend in Ruhe zu Abend zu essen und mich danach zur wohlverdienten Ruhe ins Bett zu legen und den Schlaf der Gerechten zu schlafen. Heute muss ich viel vorsichtiger damit umgehen. Acht Stunden ist das richtige Pensum pro Tag. Und die Schläfchen am Nachmittag sollten wirklich nur maximal 20 Minuten „Power-Nap“ sein, wie man das heute nennt.
Egal, zurück zum Anfang der Geschichte. Was soll man an einem total verregneten
Sonntag nachmittag allein in seiner Wohnung machen, wenn Fernsehen und Schlafen keine Option sind? Richtig: Putzen! Also alle Lappen und Sprühflaschen hergeholt und mutig ans Werk. Wischen, waschen, saugen, dazwischen woanders wischen, trocken wischen, hinterher wischen. Staubwischen, Bodenwischen, Fenster wischen, dem Wischen sind keine Grenzen gesetzt. Luise läuft immer hinter mir her, wie ein kleiner treuer Hund. Ihr ist auch fad, sie wollte aber gerne noch einen weiteren Film schauen. Sie liebt Fernsehen. Außer zum Beispiel „Kommissar Rex“. Wenn sie einen Hund bellen hört, dann hüpft sie immer panisch vom Sofa und verkriecht sich in ihrem Haus. Das ist der natürliche Instinkt, denn sie weiß ja nicht, dass der Hund aus dem Fernseher ihr nicht nahe kommen kann. Aber „Kommissar Rex“ ist sowieso nichts für Jugendliche :-), den muss ich mir eben Nachts alleine ansehen. Manchmal wische ich ihr mit meinem Staubtuch über das Köpfchen, das findet sie mehr als lustig. Zuerst schmeichelt sie sich in das Tuch und dann hüpft sie wie ein Ziegenbock davon. Und ich schwöre: sie lacht dabei. Ihr kleiner Mund verzieht sich richtig nach oben und wenn sie sprechen könnte, dann würde sie laut loslachen und sagen: Weiter so Mami. Hingegen wenn ich mit dem Staubsauger komme, dann wird sie zur Drachentöterin!!! Sie läuft der Bürste richtig entgegen und ruft „Geronimooooooooooooo“, stürzt sich auf die Bürste um das schwarze Ungeheuer zu besiegen und gibt aber sofort wieder auf, läuft weg und versteckt sich unter dem Bett. Dann wartet sie ab, entwickelt einen neuen Schlachtplan um im richtigen Moment wieder zuzuschlagen und den Feind zu knechten. Luise kennt keine Furcht (okay –außer Hunde im Fernseher). Kein Staubsauger dieser Welt kann ihr wirklich Angst einjagen. Ich liebe mein tapferes Mädchen. Heute mache einmal meine Kästen von innen sauber. Ich ordne die Hängesachen nach Themen und dann innerhalb des Themas nach Farben. Also zum Beispiel alle Röcke zusammen, dann Sommer und Winter trennen und innerhalb von Sommer und Winter von hell nach dunkel. Da ich vorwiegend schwarz trage, ist das mit den Farben ein leichtes Spiel. Luise hockt am Bett und schüttelt den Kopf. Für sie ist das reine Zeitverschwendung, sie trägt Jahraus Jahrein den gleich schwarzen Hasenfellmantel. Ich glaube, dass sie sich denkt, dass sie bei einer Gestörten wohnt. Immer wenn ich mich zu ihr umdrehe, dann bekomme ich diesen mitleidigen Blick von ihr: „Du spinnst ja“ sagt sie, „geh lieber in die Küche und hol mir eine Karotte aus dem Kühlschrank“. Sie hat es immer noch geschafft die Kühlschranktüre alleine zu öffnen und ich glaube, dass setzt ihr zu. Wenn sie alleine zum Futterreservat kommen könnte, dann wäre ich überflüssig … Das ich aber das Geld verdiene um damit die Karotten überhaupt in den Kühlschrank zu bringen in einer Wohnung die auch nicht von Nichts kommt, daran denkt sie ja nicht. Egal, sie wird das mit der Kühlschranktür sowieso nie alleine schaffen, also will ich sie mit dem Rundum gar nicht erst langweilen. Ihr Blick sagt mir manchmal auch „ich sterbe vor Hunger“, dabei ist sie mehr als wohlgenährt – weil ich diesem Blick nicht immer widerstehen kann.
Also Luise schaut mir gelangweilt zu und ich wische im Takt zu Schlagermusik meinen frisch sortierten Kasten aus. Dann schiebe ich die Kästen noch ein wenig beiseite, damit ich mit dem Staubsauger auch schön noch hinter den Kasten kommen kann um ca. eine Million kleiner Hasenhaare zu beseitigen. Wenn schon Großputz, denn schon. Der letzte Kasten wird verschoben und alles geht jetzt ganz schnell. Ich sehe Luise wie sie zwischen meinen Beinen in den Spalt zwischen zwei Kästen hoppelt. Ich mache einen Schritt nach hinten um nicht auf sie zu treten, da fällt vom Kasten ein Koffer mit all meinen Handtaschen herunter genau in den Spalt hinein. Ich schreie auf und schließe gleichzeitig meine Augen vor dem Elend, dass sich mir gleich bieten wird. Der Koffer ist schneller gerutscht als ich reagieren konnte. Ich habe Angst die Augen zu öffnen, weil mir ist klar, dass das Gewicht eines Koffers voll mit unnötigen gekauften und teilweise extrem hässlichen Handtaschen für ein Häschen tödlich sein kann. Es ´sind gefühlt fünf Minuten und wahrscheinlich wirklich fünf Sekunden vergangen seit der „Handtaschen-Koffer-Mure“ …. Ich fasse Mut … ich öffne die Augen … der Koffer ist wie von Geisterhand (wahrscheinlich sind im freien Fall alle Handtaschen nach unten gerutscht) zehn Zentimeter über dem Boden zwischen den Kästen stecken geblieben!!!! Luise ist verschwunden, oder? Ich gehe langsam in die Knie und schaue vorsichtig unter den Koffer. Da sitzt seelenruhig mein Luischen und starrt mich an. „Was glotzt du so blöd“ fragt sie, „ich bin Super-Rabbit“. Wenn der Koffer noch tiefer gerutscht wäre, dann hätt ich mich einfach dagegengestemmt“. Sie hoppelt fröhlich vom Beinahe-Tatort weg, zielstrebig zur Küche, zum Eiskasten und wartet dort auf eine Belohnung. Auch Superhelden brauchen Anerkennung - in diesem Fall eine KK (Kryptonit Karotte) :-)
Ich sitze oder besser gesagt ich liege im Wohnzimmer auf der Couch und schaue fern. Meine Lieblingsbeschäftigung. Eigentlich bin ich Surferin – Sofa Surferin – und somit ist schon alles in Richtung Sport unterwegs. Ich gestehe: ich bin faul. Stimmt auch nicht ganz. Ich arbeite viel, ich mache sauber, ich kümmere mich um alles und jeden. Aber wenn ich dann mal mit allem fertig bin und auf meinem Sofa relaxe (so heißt das heute), dann tue ich auch dies mit voller Hingabe. Jakob und Luise sind in der Küche, was im Klartext heißt, sie sind ca. vier Meter von mir entfernt. Luise pirscht sich an, schaut mir in die Augen, lächelt ein bisschen und hüpft
zurück in die Küche. Dann flüstert sie Jakob etwas ins Ohr und der wirkt, als würde er lauthals (was bei Kaninchen immer noch lautlos ist) lachen. Mit einem dicken Grinser im Gesicht pirscht er sich jetzt heran, schaut mich an, grinst ebenfalls blöd und hoppelt zurück. Dann flüstert er was in Luises Ohr, beiden drehen sich zu mir, grinsen und drehen sich wieder weg. Sie hecken was aus – soviel ist klar.
Ich nicke ganz gerne ein vorm Fernseher und wahrscheinlich schnarche ich dann auch so vor mich hin. Ich weiß nicht, ob die beiden Angst vor meinem Schnarchen haben oder ob sie vielleicht in der Zwischenzeit unseres Zusammenlebens daran gewöhnt sind. Und wahrscheinlich haben sich beiden zuerst darüber unterhalten, dass ich jetzt gleich wieder einschlafen und schnarchen werde. In dieser Phase sind sie sicher vor mir auf und ab gesprungen, haben Grimassen geschnitten und mich nachgemacht wie sich mein dicker Bauch im Takt zum Schnarchen auf und ab bewegt hat. Wenn sie eine Kamera und einen Computer hätten – bzw. wenn ich eines davon hätte – würden siesicher heimlich Fotos von mir machen und unter www.rabbits-living-with-idiots.com ins Netz stellen. An dieser Stelle erinnere ich mir wieder einmal daran, dass ich auf keinen Fall Internet und einen Computer zu Hause haben darf. Denn erstens würden sie sowieso ständig alle Kabeln durchbeißen oder all diese moderne Technik gegen mich verwenden.
Ich wache sozusagen wieder auf. Alles schient ruhig. Aber meine Augen sehen in
diesem Moment zwei lachende Hasen, Jakob noch mehr als Luise. Sie versucht ihr
Lachen einfach diskret zu unterdrücken, was ihr aber nicht wirklich gelingt. Ich stehe auf, weil meine innere Stimme sagt, dass irgendwas nicht stimmt. Ich schreite in die Küche – und da sehe ich es schon: ganz hinten, zwischen Eiskasten und Küchenkasten, ein riesiger gelber Fleck. Jakob hat wieder einmal, und ich weiß nicht warum, in diese Ecke gepisst. Hasen-Urin hat einen furchtbar intensiven Geruch. Er lässt sich zwar auf den Fliesen, die ich nach einem Jahr und einem halb aufgeweichten Parkettboden endlich hab machen lassen, gut wegwischen, aber der Gestank hält sich trotzdem. Gott sei Dank wurden Putzmittel mit Chlorid erfunden, das tötet Geruch, Bakterien – und, glauben Sie mir: Parkett. Also frisch ans Werk, Küchenrolle zur Hand und bücken! Und da ist es: ich spüre hinter mir geht was vor, drehe mich blitzartig um und mir wird klar: Jakob pisst absichtlich in diese Ecke. Damit ich mich richtig bücken muss und mein überaus großes Hinterteil so richtig in die Höhe strecken muss. Dass ist für Jakob die Abendshow!!!! Dieser Bastard windet sich beinahe vor lachen und muss sein kleines Bäuchlein symbolisch festhalten, damit er keinen Magendurchbruch hat. Luise hat auch gelacht, hat sich aber sofort ins Häuschen verzogen und mir den Rücken zugewandt. Sie lacht Ladylike ins Stroh hinein. Ich bin fertig mit wischen, desinfizieren und kann jetzt meinen Allerwertesten vom Boden erheben. Ich schaue dabei Jakob ganz tief in die Augen, kleine Tränen kullern über sein Gesicht – ganz eindeutig vom Lachen. Ich hasse ihn. Und gleichzeitig ist er auch überaus traurig, dass seine Show schon vorbei ist, was soll er jetzt mit dem restlichen Abend anfangen? Luise hat die Situation verstanden, springt mit einem Satz aus dem
Häuschen auf Jakob zu und flüstert in sein Ohr „Hör auf du Idiot! Wenn du sie weiterhin so auslachst, dann macht sie die große weiße Schachtel (vulgo Kühlschrank) nie wieder auf! Wenn wir heute kein Abendessen mehr bekommen, dann ist das deine Schuld!“ Auch wenn ich nicht Frau Dr. Doolittle bin, kann ich sie doch verstehen. Und sie hat recht: Strafe muss sein. Heute werden sie hungrig zu Bett gehen. Wahrscheinlich. Eventuell. Ich nehme mir genüsslich ein Stück Schokolade aus meiner Naschlade und lutsche es vor den beiden. Ich demonstriere damit meine Macht einer Hand gegenüber einer Pfote, die das Öffnen von Laden mühelos ermöglicht und weiters erkläre ich Jakob damit, dass mein Hinterteil nicht kleiner werden wird. Seine Shows sind gesichert. Bis zu dem Tag, wo ich ihn oder beide in einem Schuhkarton im Wald aussetzen werde …